Ich bin normalerweise ein eher vernünftiger Mensch. Aber alle drei Jahre gönne ich
mir einen Exzess, ein Stück kontrollierten Wahnsinns, einen Ausnahmezustand bis
an die Grenze meiner physischen Belastbarkeit: Die FISM-Weltmeisterschaft der
Zauberkunst.
Nach Stockholm, Peking und Blackpool war diesmal mein Lieblingsland Italien an
der Reihe. Etwa dreitausend Magier zog es vom 6. bis 11. Juli 2015 nach Rimini,
um dabei zu sein, wenn die neuen Weltmeister in acht verschiedenen Sparten gekürt
werden. Wie bei allen Magierkongressen gibt es auch bei diesem Event Seminare,
Händlermessen, Galas und gesellige Abendveranstaltungen. Aber das Herzstück
dieser Veranstaltung ist der Wettbewerb. An einem typischen FISM-Tag sehen so
zauberverrückte Leute wie ich mit kurzen Pausen an die 40 Wettbewerbsnummern,
jede dauert etwa 10 Minuten. Das ist sehr anstrengend.
Spätestens am dritten Tag sind die Augen wund und das Hirn fühlt sich matschig an.
Weil das Programm bis in die Nacht dauert und morgens früh beginnt, kommt akuter
Schlafmangel hinzu und auch die Ernährung wird zur Nebensache. Warum tut man
sich so etwas an? Weil es die einmalige Gelegenheit ist, die kreativsten,
geschicktesten und unterhaltsamsten Vertreter unser Kunst zu sehen und viele
Anregungen mit nach Hause zu nehmen.
Das war diesmal wieder der Fall. Die Leistungen im Wettbewerb waren meist sehr
gut, oft herausragend. Vor 20 Jahren konnte sich noch fast jeder problemlos zum
Wettbewerb anmelden, heute wird in vielen Ländern in erbitterten
Vorausscheidungen darum gekämpft, einen der streng kontingentierten Startplätze
zu ergattern. Das hat der Qualität gutgetan. Nachdem sich der Wirbelsturm von
Eindrücken etwas gesetzt hat, teile ich hier einige meiner Beobachtungen und
Meinungen mit allen Interessierten:
Zunächst das Erfreulichste: Österreich hat endlich wieder mal ordentlich aufgezeigt:
Wir haben zwei Vizeweltmeister: Anca & Lucca in der Sparte Mentalmagie sowie
Wolfgang Moser in „Parlour Magic“ konnten gegen starke Konkurrenz den jeweils
zweiten Platz erkämpfen. Und unser Bill Cheung von der VMKW landete in der
Wahnsinns-Sparte „Card Magic“ auf dem tollen vierten Platz. Weltmeister in
Mentalmagie wurden auch zwei Österreicher: Thommy Ten & Amelie. Sie hatten sich
allerdings dafür entschieden, für Deutschland anzutreten. Herzliche Gratulation an
alle!
Altmeister Magic Christian aus Wien wurde eine prestigeträchtige Ehrung zuteil: Er
bekam von der FISM den "Award for History, Research & Scholarship" verliehen, das
ist eine Auszeichnung für Studien zur Geschichte der Magischen Kunst.
Insbesondere dürfte dabei sein dreiteiliges Werk "Non Plus Ultra" über das Leben
und Wirken der Wiener Zauberlegende Johann Nepomuk Hofzinser (1806-1875)
eine Rolle gespielt haben.
Über die Kompetenz der Jury musste man in Rimini nicht diskutieren. Die Zeiten, als
gut vernetzte Funktionäre ohne ausreichendes Fachwissen über die Preise
entschieden, sind offenbar vorbei. Viele der Jurorinnen und Juroren haben selber
schon FISM-Preise gewonnen und sind aktive Zauberkünstler. Die Entscheidungen
waren alle nachvollziehbar und dürften sich auch mit der Meinung der
Kongressbesucher weitgehend decken.
Taubenzauberei kommt bei FISM nicht an. Viele Tierfreunde im Publikum haben ein
grundsätzliches Problem damit, wenn andere Magier Tiere minutenlang in enge
Kaschés zwängen. Aber es dürfte irgendwie auch zu wenig trainiert werden: Immer
wieder fliegen die gerade erschienenen Vögel den Magiern davon und suchen sich
dann einen Landeplatz im Zuschauerraum. Das kritische FISM-Publikum sieht das
nicht gerne, oft wird gepfiffen. Warum fast alle ihre Tauben auf der Bühne inniglich
abbusseln müssen, habe ich nie verstanden, und bunt eingefärbte Vögel mag ich
überhaupt nicht.
Die Dominanz der Asiaten setzte sich fort. Früher wurden die FISM-
Weltmeisterschaften von europäischen Ländern beherrscht. Jetzt zeigen uns
Südkorea, Taiwan und Hong Kong, wo es lang geht. Die Königssparte „Manipulation“
ist fest in koreanischer Hand. Zehn Preise gingen an Asiaten.
Trotz der vielen sensationellen koreanischen Manipulationsdarbietungen hat aber ein
Spanier den „Bühnen-Grand Prix“ gewonnen: Hector Mancha. Er konnte den
Koreaner „Lukas“ schlagen. Beide waren technisch sehr gut, aber im Kern war es ein
Duell „Charisma gegen technische Brillanz“. Die ausgefeilte, etwas schräge
Bühnenfigur des Spaniers hat die Jury doch ein wenig mehr beeindruckt, als die
makellose, aber doch ein wenig konventionelle Darbietung des Koreaners.
Der zweite Hauptpreis, der „Close-Up Grand Prix“ wurde ebenfalls mit einer
hervorragenden schauspielerischen Leistung errungen. Der Schweizer „Pierric“
begeisterte mit einer Slapstick-Kunstfigur, er spielte überzeugend einen Magier im
Wettbewerb unter Zeitdruck, dem immer neue Missgeschicke passieren. Die
Nummer war nicht nur sehr lustig, sondern auch technisch perfekt ausgearbeitet und
täuschend.
Aus Europa waren diesmal die Spanier sehr gut und, wie seit vielen Jahren gewohnt,
die verlässlichen Deutschen. Enttäuschend waren die USA, die Teilnehmer der
früheren FISM-Supermacht blieben alle unter „ferner liefen“, eine Darbietung wurde
sogar von der Jury wegen mangelnder Qualität vorzeitig abgebrochen.
Männer dominieren die Zauberkunst nach wie vor. Leider, warum das so ist, kann
niemand erklären. Es gab einige wenige, durchaus ordentliche, weibliche Acts. Aber
unter den Preisträgern war keine einzige Frau, eine Ausnahme bildete die Sparte
Mentalmagie, bei der zwei (österreichische!!!) Magier eine Partnerin hatten, an die
sie geheime Gedanken übertrugen.
Was muss man tun, um als Organisator eines Kongresses nicht gelobt, sondern
immer wieder ausgepfiffen zu werden? Zunächst muss man jegliche Kommunikation
mit den Kongressteilnehmern vermeiden, damit sich niemand bei irgendeiner Sache
auskennt. Man muss Platzkarten für Sitze ausgeben, die dann nicht gelten und
Leute, die sich vor drei Jahren angemeldet haben, in die hintersten Ecken des
Saales verbannen. Wenn man ganz sicher eine schlechte Nachrede braucht,
verkauft man 400 VIP-Sitze und sperrt dann die vorderen 1200 Sitze im großen Saal
für das einfache Volk ab. Dann entstehen sicher tolle Theorien darüber, wer wohl die
anderen 800 sind, die (möglicherweise gratis?) vorne sitzen dürfen und warum das
überwiegend Italiener sind.
Noch eine gute Idee, um schlecht rüberzukommen, ist es, wenn man die
internationale Preisträger-Gala, das ist der dramaturgische Höhepunkt der
Kongresswoche, von einem Italiener auf italienisch moderieren lässt, von einem TV-
Star, den die Kongressteilnehmer nicht kennen, weil sie kein italienisches Fernsehen
schauen. Klar war nur, dass er keine Ahnung von der Zauberei hatte und nachdem
er dauernd laut ausgepfiffen wurde, wohl auch nie ein Fan der Zauberkunst wird.
Jedenfalls gab man den erschöpften Kongressteilnehmern das Gefühl, dass sie dem
Veranstalter gleichgültig wären. Das einzige, was zählt, wären die
Fernsehaufzeichnungen. Kamerakräne störten die Sicht auf die LED-Schirme (die
Künstler konnte man von hinten sowieso kaum sehen), der Bühnenhintergrund war
nicht neutral, sondern bestand aus bunt leuchtenden Bildwänden, die von den
Künstlern nur ablenkten. Kurz gesagt: Der Auftrittsort war fürs Fernsehen optimiert,
auf schlecht gemachtes Fernsehen, da kenne ich mich als ORF-Mitarbeiter ein
wenig aus. Von Regisseuren, die sonst Rockkonzerte, Modenschauen und
Wettsingen ins Fernsehen bringen und sich mit den Bedürfnissen der Zauberkünstler
offenkundig nicht auseinandergesetzt haben. Das würde viel besser gehen,
Fernsehen und Zauberei müssen kein Widerspruch sein. Aber so macht man das
nicht.
Aber diese Ärgernisse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der FISM-
Kongress in Rimini dank der vielen tollen Wettbewerbsdarbietungen alles in allem
gelungen war. Der nächste Weltkongress wird 2018 in Südkorea stattfinden, in der
bei uns weitgehend unbekannten 12 Millionen-Stadt Busan. Ich hoffe, dass die
Veranstalter von den Fehlern der Italiener lernen werden. Zumindest gab es für
Frühbucher nur einen einheitlichen Kongressbeitrag von 400 Euro, den Unsinn einer
Zweiklassengesellschaft von normalen und VIP-Teilnehmern gegen Aufzahlung
haben sie nicht nachgemacht. Ich fürchte, dass in drei Jahren nicht viele
Österreicher diese Weltreise auf sich nehmen werden. Für mich jedenfalls war bisher
noch jeder FISM-Weltkongress eine Reise wert.
Der FISM-Weltkongress in Rimini
Saluti da Rimini!
Dinner “White Night”
Anca & Lucca sind mental
miteinander verbunden
Wolfgang Moser mit seinem
magischen Teekessel
Bill Cheung mit einem
unerklärlichen Kartensteiger
Magic Christian wurde für seine
“Hofzinser”-Bücher geehrt
Der Bühnenwettbewerb:
150 Teilnehmer
Héctor Mancha aus Spanien:
Bühnen Grand Prix
Pierric aus der Schweiz
Close-Up Grand Prix
Das FISM-Logo
Gute Sitzplätze beim Seminar
nur für VIP´s
Die vielen Kameras nerven
die Kongress-Teilnehmer
Die Zwei Klassen-Gesellschaft
2018 geht´s nach Süd-Korea