Verheddertes Spinnennetz? Was will uns Eric Mead mit diesem Titel für ein Zauberbuch wohl sagen? Eine Google-Suche führt zum Aha-Erlebnis. Sir Walter Scott veröffentlichte 1808 ein sehr erfolgreiches Gedicht namens “Marmion“, ein Zitat daraus lautet: “Oh, what a tangled web we weave, when first we practise to deceive!” Das Rätsel des literarisch gebildeten Herrn Mead hätten wir also gelöst, ein im englischsprachigen Raum gängiges Literaturzitat zum Thema „Täuschung“ steckt hinter der Spinnerei. Jetzt zu Form und Inhalt: Von „Hermetic Press“ sind wir in beiden Kategorien nur das Beste gewöhnt, dieses Buch bestätigt den Trend. Herausgeber Stephen Minch sucht sich seine Autoren genau aus und gibt ihren Texten einen würdigen bibliophilen Rahmen. „Tangled Web“ kommt in einem unüblichen Kleinformat von 13,5 mal 19 cm daher, jedes kleine Detail des Büchleins schreit förmlich: „Qualität!“. Sei es der robuste Leineneinband mit Golddruck, die perfekte Bindung, die bewusst altmodisch anmutende Schmuck-Musterung des inneren Buchdeckels und das kunstvoll eingearbeitete Seidenband, das als Lesezeichen sehr praktisch ist, weil man wegen des Kleinformats oft umblättern muss.  Eric Mead ist „Genii“-Lesern als Rezensent ein Begriff. Seine Beurteilungen von aktuellen Büchern sind profund und vielschichtig. Wenn ein bekannter Kritiker, der manchen Verriss zu verantworten hat, selber ein Buch schreibt, ist das natürlich ein Risiko. Eines, das sich -soviel sei vorweg gesagt- nicht verwirklicht hat. Das Buch steht auch inhaltlich der äußeren Qualität um nichts nach. Der Autor hat sich keinerlei Beschränkungen auferlegt. Es finden sich Tricks für den Magischen Conférencier, Sprechzauberei, viel Mentalmagie, natürlich einige Münz- und Kartentricks und sogar etwas Kinderzauberei. Wie viele andere Autoren behauptet Eric Mead, dass er alle Tricks aus diesem Buch regelmäßig professionell vorgeführt hat. Im Gegensatz zu manchen anderen Vielschreibern kann man ihm das auch glauben. Für „A Fine Howdy Do“ benötigt man ein Feuerzeug, ein Kügelchen Flashpapier und drei Münzen. Mit diesen Requisiten konstruiert Eric Mead ein perfektes Eröffnungskunststück für Stehempfänge, bei denen sich der durchs Volk wandelnde Magier unvermutet als solcher zu erkennen gibt. Ein anderes Eröffnungskunststück namens „Tie One On“ ist für formelle Vorstellungen in einem Theater geeignet. Es geht um eine nicht vorhandene Krawatte des Conférenciers, das Publikum sucht eine für ihn aus und erlebt eine Überraschung. „When Children Walk with Canes“ ist der Beweis dafür, dass Mentalmagie für Kinder funktionieren kann. „The Walkout“ ist kein Trick, sondern eine Technik, wie man bei besonders wichtigen Zuschauern definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlässt. „An Auspicious Occasion“ ist pure Close-Up-Mentalmagie mit fünf Visitenkarten für Magier, die auch ein wenig „Cold Reading“ beherrschen. In kompetenten Händen sehr stark. „Fifty-Two on One to One“ ist wahrscheinlich das beste Kunststück im Buch. Leider erfordert es einiges an Vorbereitung, aber wenn sich ein Sprechzauberer die Mühe macht, wird er mit einem hochklassigen Effekt belohnt. Es handelt sich um eine Variante eines der ältesten Gags der Zauberkunst: Der Vorhersagekarte, auf der alle 52 Karten abgebildet sind, hier mit einer Riesenkarte. Eine Karte wird frei genannt. Nach dem Lacher über die „richtige“ Vorhersage passiert etwas völlig Unerwartetes. Weitere Tricks aus dem Buch: eine Wanderung einer gemerkten Karte zwischen drei Weingläsern ein Erraten der Jahreszahl auf einer geborgten Münze ein Peek einer beschrifteten Visitenkarte, die in ein Buch gesteckt wurde ein Flaschenerscheinen unter einem Taschentuch eine „impromptu“-Routine mit Münzen und einer Cocktailserviette für die Bar eine Verwandlung ausgeborgter Münzen in „markierte“ Münzen eine mehrphasige Kartenroutine, bei der zu den Assen abgehoben wird mit einem schönen Schlusseffekt. (Ein längerer Kartentrick ohne Illustrationen, den sicher niemand lesen wird. Wer diese Routine lernt, wird sie exklusiv vorführen). Ein Kapitel namens „Disorderly Conduct“ wird nur Memodeck-Liebhaber interessieren, die dafür aber sehr. Es geht um Handling-Techniken, mit denen der Eindruck von Unordnung und Chaos in einem gelegten Spiel erweckt wird. Ähnliches gilt für „Jazz Charts & Favorite Licks“. Anregungen für erfahrene Vorführende von Dai Vernons „The Trick That Cannot Be Explained“. Das ist ein Konzept, das größtmögliche Flexibilität vom Vorführenden verlangt. Zu Beginn weiß man nicht, was genau der Effekt sein wird, alles hängt von der zufälligen Lage der Karten ab. Eric Mead verwendet zwei Spiele parallel und vergrößert dadurch die Chance für ein echtes Wunder. Für einschlägige Kartenexperten sehr wertvoll, für alle anderen nutzlos. Nicht jedes Kapitel in „Tangled Web“ ist eine Trickbeschreibung. Eric Mead streut dazwischen etliche Abhandlungen über theoretische Aspekte der Zauberkunst ein. Die Texte sind interessant, gut lesbar, reich an Praxisbezügen und in einem sehr persönlichen Stil gehalten. Er verrät, wie er sich beim „strolling“ seinen künftigen Zuschauern nähert, er denkt über die Wichtigkeit der Übergänge zwischen den Tricks nach, empfiehlt, einen gedruckten Ansagetext für den Gastgeber bereitzuhalten, damit statt Gestammels ein professionell gestalteter Text am Beginn der Darbietung steht. Besonders schön ist eine Analyse der Frage, warum einige Menschen Zauberei überhaupt nicht wollen und wie man als Künstler damit umgehen soll. Sehr inspirierend ist auch das Kapitel: „Say Anything“. Eric Mead meint, dass sich die meisten Magier hinter ihren Requisiten verstecken und sich keinerlei Aussagen über sich selbst, die Welt oder sonst irgendetwas zutrauen. Nicht einmal David Copperfield, über dessen Ansichten und Persönlichkeit man trotz all der Jahre als Star so gut wie nichts weiß. Schauspieler, Künstler und Kabarettisten treten hingegen meist mit pointierten Aussagen an die Öffentlichkeit. Werden wir Magier deshalb sowenig ernst genommen? Deshalb seine Aufforderung an die Zauberer: „Say Anything!“      Der Las Vegas-Star Teller schreibt im Vorwort zu diesem Buch: “There is no bullshit between these covers”. Man könnte es nobler formulieren, inhaltlich hat Teller jedoch recht. „Tangled Web“, 2006 Hermetic Press, 238 Seiten, 40 US$
„Tangled Web“ von Eric Mead
Startseite Wer ist Mecki? Was kann Mecki? Wie gut ist Mecki? Was denkt sich Mecki? Magische Literatur Wo findŽich Mecki?